Schöne Grenzerfahrung

Bangalore (1987) - Die Zahl der Lepra-Erkrankten steigt enorm. Der Ministerpräsident von Karnataka, Shri Deveraj Urs, bittet den Erzbischof von Bangalore um Hilfe. Dieser bekam ein Stück Land und baut eine schlichte Hütte, nur aus einem Dach bestehend. Der Beginn Sumanahallis. Fortan entwickelt es sich immer weiter.

Heute besteht Sumanahalli aus zahlreichen unterschiedlichen sozialen Einrichtung und Wohnmöglichkeiten. Dazu gehören:

  • das Support, ein Zentrum für HIV-Infizierte,
  • die St. Joseph‘s School, eine Bildungseinrichtung für Kinder aus sozial schwachen Familien,
  • der Family-Block, eine kostengünstige Wohnmöglichkeit für von der Gesellschaft ausgegrenzte Familien,
  • die Candle Making Unit, eine Kerzenzieherei, mit dessen Einnahmen unter anderem Sumanahalli finanziert wird, genauso wie
  • die Lether Section, eine Einrichtung, die sowohl zur Herstellung von Lederwaren als auch als Ausbildungsstätte dient,
  • die Garments Unit, eine Kleiderfabrik und Arbeitsmöglichkeit für viele Bewohner Sumanahallis,
  • das Don Bosco, eine Wohn- und Weiterbildungsstätte für Jugendliche,
  • das Echo, ein Jugend-Gefängnis,
  • zwei Ordensgemeinschaften, St. Joseph und St. Francis,
  • das Office, die Verwaltung von Sumanahallis und
  • das Ave Maria, ein Zentrum für Lepra-Kranke.

 

Das Ave Maria war meine Wirkungsstätte. Im Lepra-Zentrum wohnen ca. 150 Menschen unter der Leitung von Direktor Father Peter, einem Claretiner-Pater, und zwei Ordensschwestern. Ave MariaDie Bewohner stammen meist aus Slums, sind trotz der katholischen Trägerschaft ausschließlich Hindus oder Moslems und zählen zu den „Ärmsten der Armen“. Ihr Hab und Gut passt oftmals in eine Plastiktüte. Ave Maria bietet ihnen kostenfrei ein Dach über dem Kopf, ein Bett zum Schlafen, drei einfache warme Mahlzeiten am Tag, Kleidung und eine medizinische Versorgung.

 

Am 1. November 2013 landete ich in Bangalore. Es war sehr warm. Auf dem Weg nach Sumanahalli fielen mir gleich die vielen Menschen auf den Straßen auf, Kühe und die Frauen in ihren farbenfrohen Saris: eine andere Welt. Schon im Auto traten erste Kommunikationsschwierigkeiten auf. An das indische Englisch musste ich mich erst gewöhnen. Genauso wie an den Tee mit Milch und sehr viel Zucker. In der Zuckerdose und überall, auf den Tischen und auf dem Boden, krabbelten Ameisen. Wie sollte ich diese andere Welt nur fünf Monate lang aushalten?! 

Etwas wohler wurde mir, als ich die anderen Volunteers kennenlernte. Die zwei Französinnen, Camille (22) und Mailys (24), waren mir sofort sympathisch. Sie zeigten mir die komplette Einrichtung und meine Unterkunft, wo ich abgesehen von etlichen Kleintieren und Eidechsen erst allein, ab Ende November dann zusammen mit der dritten Französin Agnès (22) untergebracht war.
 

Ein gewöhnlicher Tag begann um 6.30 Uhr. Katzenwäsche in einer spartanischen Nasszelle: ein kleines Waschbecken, Toilette und eine Wäscheleine auf vier Quadratmetern. Duschen war mit Hilfe zweier Eimer möglich. Sehr gewöhnungsbedürftig. Um 7 Uhr war Morgengottesdienst. Die Gebete waren alle auf Englisch. Wie alles andere, musste ich auch das erst einmal lernen.

Anschließend wurde in „father’s kitchen“ gefrühstückt. Dort fand auch das Mittag- und Abendessen statt. Während die Lepra-Kranken in einer großen Halle fast immer das Gleiche aßen, wurde für uns „Westliche“ sowie für die Patres extra gekocht. Für die Inder hat das Essen große Bedeutung. Von „father’s ktichen“ zurück in unsere Unterkünfte, fragten uns die Patienten immer: „Nasthta hitha?“, auf Deutsch: „Hast du gefrühstückt?“. Und sie erkundigten sich danach, was wir gegessen hatten und, ob es uns geschmeckt hat. Das war ihnen sehr wichtig!!

Patienten warten in der Klinik auf ihre Behandlung

Um 8.45 Uhr startete unser Arbeitstag. Die Patienten, die im Stande waren zu laufen, machten sich auf den Weg in die „Klinik“ von Sumanahalli. Die anderen, die nicht so gut zu Fuß waren, wurden in einem Behandlungsraum in Ave Maria behandelt. Dabei wurden ihre Wunden gesäubert und die Verbände gewechselt. Die „Klinik“ war keineswegs so modern eingerichtet wie es in Deutschland üblich ist. Die Lepra-Kranken saßen auf einfachen Plastikstühlen und legten ihre von Lepra gezeichneten Beine, die sie zuvor mit Steinen und etwas Wasser gesäubert hatten, auf einem alten Waschbecken ab. Erschreckend war dabei, für jeden Patienten wurde das gleiche Werkzeug verwendet. Das ist nicht unser Verständnis von Hygiene. So wurde uns beispielsweise auch nahegelegt, die Handschuhe nicht zu wechseln. Ein Arbeitstag, ein Paar Handschuhe.

Um 13 Uhr gab es Mittagessen. In der Regel wurde Reis mit Gemüse serviert (Ana Sambar). Das Essen wurde immer von einer eigens für „father’s kitchen“ eingestellten Köchin gekocht. Danach hatten wir etwas Pause, um beispielsweise Wäsche zu waschen, natürlich per Hand.

Draußen war es zu heiß, Mittagshitze. Erst um 17 Uhr kümmerten wir uns wieder um das Wohl der Patienten und brachten ihnen ihre Tabletten. Wenn es gegen Abend kühler wurde, spielten wir mit den Patienten meistens Badminton oder Uno. Dabei lief ständig laute indische Musik und natürlich der Fernseher. Agnes und vier Patienten beim Uno spielen

Abendessen gab es um 20 Uhr: Ana Sambar. Nach dem Essen blieben wir, die anderen Volunteers, die Patres und ich, meist noch etwas sitzen und diskutierten über die indische und europäische Kultur. Um 21.30 Uhr wurden die Türen abgeschlossen: Schlafenszeit. Die Nächte waren oft sehr unruhig. Es gab Patienten, die auf dem Gang schliefen bzw. aufgrund von Schmerzen nicht schlafen konnten und deshalb an unsere Türen klopften, um Medikamente dagegen zu bekommen.

Das war im Großen und Ganzen mein normaler Tagesablauf. Es gab noch regelmäßige Ausnahmen: Dienstags saßen die Patienten mit den Ordensschwestern und uns Volunteers zum Abendgebet zusammen. Am Sonntag fand um 10 Uhr eine große katholische Messe statt.
 

Ein sehr schöner Teil meines Auslandsaufenthaltes war die Möglichkeit reisen zu können. So war ich beispielsweise für drei Wochen auf Sri Lanka und habe die dortigen Claretiner besucht. Sie zeigten mir viele ihrer Einrichtungen, unter anderem VAROD im Norden von Sri Lanka. Mir hat es dort sehr gut gefallen, vielleicht vor allem deshalb, weil Deutschland bzw. Weißenhorn (einem heimatnahen Ort) für die Patres nicht unbekannt war.

Auch den Süden Indiens, rund um Bangalore, durfte ich durch einige Ausflüge und Reisen kennenlernen.

Der Auslandsaufenthalt war auf jeden Fall eine tolle Erfahrung. Ich stieß oft an meine Grenzen. Ich fühlte mich mehrmals hilflos und mit den Gegebenheiten überfordert.

Dennoch bin ich Pater Thomas Kurian sehr dankbar, der mir damals die Möglichkeit zu einem Indienaufenthalt aufgezeigt hat. Danke auch an Pater James Patteril und SHiP e.V., die für mich den Aufenthalt organisiert und den Weg geebnet haben.

Pia

Copyright